Einleitung

Häufig ist es so, dass man beeindruckende Erlebnisse einer Reise vergisst, weil weitere Geschehnisse diese verdrängen. Daher habe ich habe mich entschlossen, dieses Jahr ein Tagebuch zu führen und nach meiner kleinen Tour einen Reisebericht zu erstellen, inspiriert auch durch Blogs vieler anderer spannenden Menschen mit fast unglaublichen Projekten. Hier eine kleine Auswahl:

http://longtrailtotibet.blogspot.de/

http://www.thewhitecrane.net/

http://www.justgoingforastroll.com

http://www.manontheriver.com/

http://africabybike.de/wordpress/


Aber um es klar zu machen: Meine kleine Tour durch Norwegen ist in keiner weise Vergleichbar mit diesen Unternehmungen.

 

Dieses Jahr habe ich mich für ein Teilstück der weitgehend unbekannten Nordlandsrouta in Norwegen entschieden. Die komplette Nordlandroute führt vom Bjørnfjell bei Abisko bzw. Narvik bis zum Børgefjell im Süden. Die Hütten auf der Route sind in Abständen von strammen Tagesmärschen aufgereiht, wobei die Zeitabgaben für einzelne Tagestouren bis zu 10 Stunden betragen. Die Zeiten sind nach meiner Erfahrung nur für durchtrainierte Menschen zu erreichen, ich benötige erfahrungsgemäß 50 – 70% mehr Zeit. Da ich keine Lust auf 17 Stunden Tagesetappen hatte, habe ich mich wieder entschieden, ein Zelt mit der entsprechenden Ausrüstung mitzunehmen um auch ohne Hütten klar zu kommen. Mich reizte an der Strecke insbesondere, dass es nur wenig Berichte im Internet über den Weg gibt und die Landschaft auf den Karten vielversprechend aussah.

 

Eine Unannehmlichkeit auf der Strecke ist, dass die Hütten zwar zugänglich sind, wenn man den richtigen Schlüssel dabei hat, aber keine Lebensmittelvorräte aufweisen. Im Süden von Norwegen bieten viele unbewirtschafteten Hütten neben einer Übernachtungsmöglichkeit auch Lebensmittelvorräte an, so dass man dort nicht für die ganze Tour Lebensmittel mitnehmen muss. Genau wie für die Übernachtung erfolgt die Verwendung der Lebensmittelvorräte auf Treu und Glauben. Man nimmt sich, was man benötigt, trägt es in eine Liste ein und zahlt bei Abreise entsprechend in einen bereitstehende Box. Alternativ kann man per Einmalvollmacht mit Kreditkarte zahlen.

 

Meine diesjährige Route führte mich von Bolna an der E6 nach Umbukta an der E12 ca. etwa 80km über gut markierte Wege durch das Fjell.


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PS: Hinweis für Funkamateure: Die folgenden Einträge haben NICHTS mit Funken zu tun!

 

 

 

 

Tag 1: Vorbereitung und Abfahrt

Aufgrund kurzfristiger dienstlicher Verpflichtungen muss ich meinen Urlaub einige Tage eher beenden als vorgesehen und habe deshalb meine Reise ein paar Tage vorverlegt um rechtzeitig wieder zurück sein zu können. Eigentlich wollte ich die ersten zwei Tage meines Urlaubs nutzen, in Ruhe die Vorbereitungen zu treffen, einzukaufen und das Auto zu beladen. Also nutze ich das Wochenende um den 11./12. August für die Vorbereitungen und habe alles bereit gelegt um am 15.8. am Vormittag los fahren zu können.

 

Ich hatte mich entschlossen, mit der Schnellfähre von Dänemark (Hitshals) nach Norwegen (Kristiansand) zu fahren. Dies ist nach meinem Kenntnisstand von Norddeutschland aus die schnellste und auch preiswerteste Verbindung nach Norwegen, solange man mit einem normalen PKW, und nicht mit einem Wohnmobil unterwegs ist.

 

Eine Stunde vor der geplanten Abfahrt war alles fertig, die Katzen ein letztes mal bekuschelt also gab es keinen Grund mehr, nicht loszufahren. Ich hatte also locker zwei Stunden Reservezeit bis zur Abfahrt der Fähre und konnte gemütlich und entspannt ohne Zeitdruck fahren. Vor der Grenze zu Dänemark habe ich noch einmal zu den deutschen Dieselpreisen bis zum Rand vollgetankt, denn in Skandinavien liegen die Spritpreise deutlich über dem deutschen Niveau. Der Tankinhalt sollte für wenigstens die nächsten 1000 km ausreichen. Außer etwas dichten Verkehr rund um Hamburg verlief die Fahrt nach Hirtshals ereignislos, so dass ich tatsächlich 2 Stunden vor der geplanten Abfahrt der Fähre in Hitrshals ankam. Auf der Suche nach einer Beschäftigung folgte ich mit dm Auto dem Schild „Strand“ und befand mich plötzlich auf dem selben. Der Strand war voll mit Dänen, die neben Ihren Autos in der Sonne lagen. Die Autos aufgereiht nebeneinander, mit ausreichend Platz zum Nachbarn für Installation eines Sonnen- bzw. Windschutzes. Nur im Wasser war keiner, die Temperatur war einfach zu niedrig.

 

Irgendwann habe ich mich dann zum Fährterminal aufgemacht, einchecken war problemlos. Das Ticket hatte ich am Tag zuvor online besorgt. Die Fahre war, wie in den letzten Jahren auch, zu spät, diesmal 30 Minuten. Die übliche Ausrede des Kapitäns, der Seegang wäre schuld, erfolgte diesmal nicht, schließlich war die See spiegelglatt und der Katamaran konnte seine volle Reisegeschwindigkeit von 38 Knoten ausnutzen. Er verwies nur auf die seltene Gelegenheit das Skagerrak mit so wenig Seegang und bei wolkenlosen Himmel zu erleben und stellte in Aussicht, dass wir pünktlich in Kristiansand ankommen werden. Nun ja, irgendetwas passte mit der Planung nicht, wir kamen 40 Minuten zu spät an. Zu diesem Zeitpunkt war mir das aber herzhaft egal, ich hatte beschlossen die Uhrzeit für den Rest meines Urlaubs konsequent zu ignorieren.

 

Das Navi wollte unbedingt auf der Küstenautobahn fahren, ich wollte aber über die Straßen im Landesinneren weiter nach Norden reisen. Schließlich konnte ich das Navi durch Eingabe von geeigneten Zwischenzielen doch dazu bewegen, die Inlandsstraßen zu benutzen.

 

Ich liebe diese eigenwilligen norwegischen Inlandsstraßen mit ihren abrupten Richtungswechseln unmittelbar hinter einer nicht einsehbaren Kuppe, ihren Engstellen auf alten Brücken, auf denen mit ziemlicher Sicherheit ein Trecker oder ein LKW entgegenkommt. Bei entspannter Fahrweise sind diese Straßen für mich ein idealer Weg um auf der Anreise den Alltag zu vergessen und noch vor dem Erreichen des Ziel auch im Kopf mit dem Urlaub zu beginnen.

 

Diese Straßen bieten immer wieder prima Übernachtungsplätze im Zelt, wahlweise mit Blick auf See, Tal und/oder Berg. In der späten Dämmerung habe ich einen schönen Platz an einem See gefunden, mit Blick aus dem Zelt auf See und Berge. Aufgrund des prima Wetters verzichtete ich auf das Zeltdach und baute nur dass Innenzelt auf. Das der Platz nur 5m von der Straße entfernt war und direkt an einem Ortseingang lag, störte mich nicht, und sonst auch niemanden. Nachts ist die Straße praktisch ohne Verkehr und am Morgen sind die wenigen Autos ein prima Wecker.

 

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Tag 2: Weiterfahrt nach Norden

Irgendwann nach dem Ausschlafen ging es dann über die Landstraße 41 und letztendlich über die E6 weiter nach Norden. Der Fahrt verlief ohne Besonderheiten durch die beeindruckende norwegische Landschaft. Eine neue nette Eigenschaft der Norweger durfte ich jedoch noch kennenlernen.

Irgendwo mitten im Nichts auf der E6, keine Kreuzung und keine Ortschaft weit und breit, gestikulierten die wenigen entgegenkommenden Fahrer und betätigten die Lichthupe. Deutlich aufgeregter, als es sonst bei Schafen oder Rentieren auf der Straße passiert. Vorsichtshalber beschloss ich, mich erst einmal streng an die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit zu halten. Und tatsächlich, 10 Minuten später, an einem ausnahmsweise geraden Teilstück der Straße, an einer Haltebucht, hockte hinter der Leitplanke ein gefrusteter norwegischer Polizist mit einer Laserpistole. Da die Gebühren für zu schnelles fahren in Norwegen doch recht erheblich sind, hätte das sonst meine Urlaubskasse erheblich strapazieren können. In all den Jahren, in denen ich kreuz und quer durch Skandinavien gefahren bin, war das die erste mobile Geschwindigkeitskontrolle, die ich erlebt habe. Die festen Blitzer sind durchweg mit Schildern angekündigt und außerdem kaum zu übersehen.

 

Mit einigen gemütlichen Pausen bin ich bis ca. 23 Uhr durchgefahren und habe schließlich in den Bergen einen Zeltplatz etwas abgesetzt neben der Straße gefunden.

 

 

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Tag 3: Ankunft in Mo I Rana

Zum Mittag habe ich mir einen für deutsche Verhältnisse unverschämt teuren Hamburger mit Pommes gegönnt, für umgerechnet fast 19 Euro. Er war prima und es war auch reichhaltig. Gut gestärkt bin ich gegen 16:00 Uhr in Mo angekommen, die Touristeninformation war noch geöffnet. Also gleich rein und die Fragen gestellt.

Leider waren die Wanderkarten bzw. Topografischen Karten weitestgehend ausverkauft, so wie auch schon in Deutschland und im Internet. Norwegen stellt gerade das System der Topografischen Karten um, es erscheinen nach und nach alle Karten als komplett überarbeitete Version. Also müssen die über das Internet besorgten Karten von 1987 und die vorsichtshalber mitgenommenen Ausdrucke von Google-Maps ausreichen.

 

Die Antwort auf meine zweite Frage war weniger schön. Ich erhielt die Bestätigung, dass ich nicht zu blöd war, die Bus- und Bahnverbindungen im Internet zu finden, die ich vor wenigen Jahren noch benutzt hatte. Die Verbindungen wurden inzwischen ersatzlos gestrichen. Na toll. Wie sollte ich jetzt zum Ausgangspunkt meiner Tour nach Bolna kommen und am Ende von Umbukta wieder zurück zum Auto? Immerhin fuhr Dienstags und Freitags um 14 Uhr jeweils ein Bus vom Mo zu einem alternativen Startpunkt nach Elmøthei. Von dort aus könnte ein weniger attraktiver Einstieg in die Berge in Richtung Virvasshytta über eine rund 20km lange nicht befestigte Bergstraße erfolgen. Ich würde aber schon gerne den schöneren Weg über das Fjell von Bolnastua über Corraskoia zur Virvasshytta nehmen.

 

Mir blieb also die Wahl erst zwei Tage später als geplant am Dienstag den Bus zu nehmen, oder einen Plan B zu entwickeln. Also beschloss ich erst einmal, mit dem Auto von Mo nach Norden und dann die Bergstraße ab Elmøthei bis zum Ende zu fahren und oben einen Zeltplatz zu suchen. Von meiner Tour vor einigen Jahren war mir in Erinnerung, dass es am Ende des Weges an einem Wehr eine Abstellmöglichkeit für das Auto gab und wenig entfernt auf einem Plato an einem aufgestauten Bach eine schöne Zeltmöglichkeit.

 

Am Abend versuchte ich dann mit einem erneuten Studium der Wanderkarten einem Plan B zu entwickeln.


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Tag 4: Plan B

Der Zeltplatz von gestern Abend war dann doch nicht so toll, denn er war stark bevölkert von Flugsaugern. Immerhin war die überwiegende Anzahl der Mücken außerhalb vom Zelt. Es war fast windstill und dass Summen der Mücken war schon heftig. Ich hatte meine Anti-Mücken-Spiralen zum Anzünden zu hause gelassen, da ich in den letzten Jahren nie Verwendung dafür hatte. Jetzt bereute ich diesen Entschluss. Aber nicht so schlimm, ich werde einfach ein neues Paket für die kommenden Nächte in Mo i Rana kaufen.

 

Also nach einem späten Frühstück zurück nach Mo und den Plan B geprüft. Leider gab es in keinem der vier Supermärkte in Mo Mückenspiralen zu kaufen, aber immerhin hatte einer der Läden vor meinem Besuch noch einen kleinen Bestand an Dschungel-Öl. Plan B enthielt einen weiteren „freien Tag“, incl. des Besuches des Badelandes in Mo. Badeland ist vielleicht etwas übertrieben, aber immerhin gibt es dort drei verscheiden temperierte Wasserbecken und schöne warme Duschen. Es ist schon schön, wenn man nach 4 Tagen wieder duschen kann, und das nach belieben Stundenlang :-). Nach einem abschließenden Eis fuhr ich dann die rund 40 km nach Osten zur Umbukta Fjellstue, zur geplanten Endstation meiner Wanderung.

 

Dort bekam ist die Bestätigung, dass es seit einigen Jahren keinen Überlandbus mehr gibt, der Umbukta mit Mo verbindet. Die nette Chefin meinte aber, dass es im Allgemeinen kein großes Problem wäre, von Umbukta per Anhalter nach Mo zu kommen. Diese Aussage unterstützte meinen Plan B erheblich.

 

Am frühen Abend fand ich auf einer kleinen Anhöhe einen sehr schönen Zeltplatz mit Blick über ein weites Tal auf schneebedeckte Berge, und das bei schönstem Sonnenschein, einem leichten Wind und sehr angenehmen Temperaturen.

 

Am nächsten Tag würde ich Plan B umsetzen.

 

 

 

 

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Tag 5: Los geht’s

Der Plan B sieht vor, dass ich das Auto an der nordwärts führenden Hauptstraße E6 am Ortsrand bei „Bimbo“ abstellen würde und dann per Anhalter die rund 70km nach Bolna überbrücken wollte. Bimbo ist das beliebteste Restaurant im Raum Mo, es gibt ordentliche Qualität zu, für Norweger, vernünftigen Preisen.

 

Die Sonntagsroutine der Norweger kommt mir entgegen, denn am Sonntag beginnt alles etwas später als gewöhnlich, zumal, wenn es sich um den letzten Feriensonntag in Norwegen handelt. Also ging es nach einem späten Schlemmerfrühstück, als der Autoverkehr ab etwa 11 Uhr auf der E6 wieder etwas zugenommen hatte, los vom Zeltplatz zur schönen Aussicht in Richtung Mo I Rana.

 

Die Norweger sind erfahrungsgemäß recht hartnäckig darin, Anhalter zu ignorieren. Meine Hoffnung war, dass der Autoverkehr Aufgrund des Ferienendes etwas höher sein wird, als gewöhnlich.

 

Der Chef von Bimbo hatte nichts dagegen, dass ich das Autor für rund 10 Tage auf seinem Grundstück abstellen würde. Also stellte ich das Auto ab, schnürte die neuen Wanderstiefel, schnappte den fertig gepackten Rucksack und stellte mich an die E6. Die Straße ist die einzige Nord-Süd-Verbindung im nördlichen Norwegen. Also Daumen hoch und versucht freundlich und vertrauenerweckend auszusehen, denn jung und unbedarft auszusehen gelingt mir nicht mehr.

 

Ich stand rund 2 ½ Stunden an der Straße. In dieser Zeit kamen etwa 250 Fahrzeuge an mir vorbei, der Verkehr hielt sich also in Grenzen. Immerhin hielten in dieser Zeit drei Fahrzeuge, die ersten beiden wollten nur wenige Kilometer weiter nach Norden, das entsprach jedoch nicht meinem Plan. Ich wollte die ganze Strecke im Stück zurücklegen, oder wieder mein Auto zur Verfügung haben und ggf. doch den Bus zu nehmen. Also lehnte ich die ersten beiden Mitfahrgelegenheiten ab. Die dritte Gelegenheit erwies sich als günstig. Nachdem wir uns auf Englisch als Sprache geeinigt hatten, ergab sich, dass die beiden Insassen von einem Kurzurlaub im Süden noch rund 300 km weiter nach Norden nach Hause fahren wollten. Bolna lag also auf ihrem Weg.

 

Der alte Renault war in einem bedauernswerten Zustand. Die Klimaanlage konnte nicht mehr kühlen, der Auspuff erzeugte ein sehr eindringliches Geräusch und das Radio hatte ebenfalls die besten Zeiten hinter sich. Aber die Kiste brachte mit zu meinem Startpunkt Bolnastua. Im Gespräch lernte ich eine neues Längenmaß kennen: die norwegische Meile. Eine norwegische Meile entspricht 10 km. Gegen 16 Uhr kamen wir bei Bolna an.

 

Es war noch früh genug für eine erste Etappe, so dass ich nicht in Bolnastua übernachtet habe, sondern gleich in die Nordlandsruta in Richtung Süd-Osten eingestiegen bin. Der Einstieg war sehr gut gekennzeichnet, also problemlos zu finden. Die Brücke über den Fluss war etwas wackelig, aber intakt. Nur leider ging es auf der anderen Flussseite gleich rund 120m Höhenmeter den Hang hinauf. Es scheint unausweichlich zu sein, dass die erste Tagesetappe mit einer handfesten Steigung beginnt. Immer besonders schön, da der Rucksack zu Beginn noch sein volles Gewicht hat. Teilweise im Kriechgang, auf Händen und Füßen, ging es den 60° Hang hinauf. Durchgeschwitzt und außer Atem kam ich oben an.

 

Der weitere Weg wurde deutlich angenehmer, die Steigung normalisierte sich. Die nächsten 150m Höhenunterschied verteiten sich komfortabel auf die kommenden 6 km. Ein Weg war nicht auszumachen, aber die Markierungen waren ausgezeichnet und einfach zu finden. Dei Strecke führte auch einige Kilometer über eine unbefestigte Bergstraße. Ich kam gut voran. Nach einiger Zeit auf der Bergstraße kam ein Mercedes von hinten heran. Die Fahrerin und Ihr Mann sprachen bestes Englisch, also haben wir etwas smaltalk gehalten. Die beiden wollten ihren Hund im Fjell trainieren und kannten die weitere Strecke über das Fjell zur Virvasshytta. Sie fanden es zwar toll das ein Deutscher extra den weiten Weg fährt um eine Fjeltour bis nach Umbukta machen, aber aus Ihren Augen sprach wenig Verständnis dafür. Ihre Aussage bestärkte meine Vermutung, dass die Schutzhütte in etwa 3 km nicht existiert, bzw. in einem erbärmlichen Zustand ist. Auf zwei von drei Karten war die Hütte eingezeichnet, die eine Karte zeigte sie 1km links vom Weg, die andere 100m rechts. Sie fuhren weiter und ich ging meines Weges.

 

Schließlich bog der Pfad nach rechts von der Bergstraße Richtung Tal und Bachlauf ab. Weiterhin waren die Markierungen ausgezeichnet, aber kein ausgetretener Weg vorhanden. Auf der anderen Seite vom Bach wollte ich mir einen Zeltplatz suchen. Kurz vor der Talsohle klärte sich das Thema Schutzhütte. Sie lag einem Wäldchen aus krüppeligen Birken, 50m links vom Weg und war eine heruntergekommene Kothe aus Birkenstämmen im Stiel der Samen. Im oberen Drittel war die Außenhaut, bestehend aus mit Grasssoden bedeckter Birkenrinde, heruntergerutscht, so dass Regen aber vor allem die Mücken freien Eintritt hatten. Aufgrund der Mückenhorden aus der Moorfläche rings um die Kothe ging ich schnell weiter und beschloss mir einen möglichst gut durchlüfteten Zeltplatz auf einer Anhöhe auf der anderen Bachseite zu suchen.

 

Aufgrund eines Stauwehrs etwas oberhalb und der trockenen Wetterbedingungen war der Bach im Talgrund fast ausgetrocknet. Die Brücke über den Bach war eine ausgesprochen wackelige Angelegenheit. Die meisten Stabilisierungsseile waren durchgerostet und abgefallen. Aber die Brücke hat gehalten, indem sie meinen Gewicht flexibel dynamisch nachgab.

 

Nachdem ich die rund 100 Höhenmeter zur Brücke abgestiegen war und mit meinen Weg durch das Birkengestüpp gebahnt hatte, fand ich wenige Meter oberhalb des Baches auf der anderen Seite eine grob planierte Schutthalde. Die Schutthalde ist wahrscheinlich das Ergebnis der wasserbaulichen Maßnahmen und des für den Wasserablauf gesprengten Tunnels zur Energieerzeugung. Solche Schutthügel haben den Vorteil, dass sie auch bei Starkregen nicht zur Seebildung neigen. Wenn man müde genug ist, kann solch ein Geröllhaufen eine sehr bequeme Schlafunterlage sein. Ich war müde genug.

 

Es hat sich bewährt, den Zelteingang in Windrichtung auszurichten. Die meisten Mücken werden vom Wind am Zelt vorbei getrieben und fliegen dann gegen den Wind zum Zelt zurück, finden jedoch den Eingang nicht, sondern bleiben außen am Mückennetz des Innenzeltes. Die windabgewandte Seite vom Zelt ist von Mücken umlagert, die windzugewandte Seite weitestgehend mückenfrei. Anstrengend wird es nur, wenn der Wind zeitweise aussetzt, so wie es an diesem Abend der Fall war. Es gab aber genügend Platz um im Zelt den Gaskocher zu benutzen, also waren die Mücken kein wirkliches Problem.

 

 

 

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Tag 6: Corraskoia

Heute ist der erste richtige Tag im Fjell bei immer noch ausgezeichnetem Wetter mit bewölktem Himmel leichtem Wind und angenehmen Tagestemperaturen um Bereich um 15°C. Das Ziel ist die Schutzhütte Corrasloia, etwa 400 Höhenmeter und gute 16 km Wegstrecke von meinem Zeltplatz entfernt. Mit allen mehr oder weniger ausgeprägten Senken und Tälern auf dem Weg, gehe ich von insgesamt rund 600 Höhenmetern aus.

Zum Frühstück gab es die Nudelreste von gestern Abend und eine große Tasse kräftigen schwarzen Pulverkaffee. Packen, Zeltabbauen und los. Die Richtungsvorgabe erfolgte weiterhin über ausgezeichnete Markierungen, nur gab es keinen Weg. Bei jedem Schritt musste man die Füße über die niedrige Vegetation heben um nicht hängen zu bleiben. Aufgrund der Trockenheit waren die meisten Bach- und Flussdurchquerungen absolut problemlos.

 

Durch den immer wieder einschlafenden Wind hatten die Mücken keine Probleme mich zu lokalisieren und zu erreichen, sobald ich für eine Pause stehen blieb. Da war ich sehr froh, dass ich an keinem Flusslauf meine Stiefel ausziehen musste um die Schuhe von innen trocken zu halten. In dieser wehrlosen Situation hätten mich die Mücken wahrscheinlich aufgefressen.

 

Der Weg führte wie üblich über jede kleine Anhöhe und hinterher wieder herunter, um soweit wie möglich die Sumpfgebiete zu meiden. Am späteren Nachmittag wurden die Wolken dunkler und der leichte Wind änderte seine Richtung, ohne jedoch an Stärke zuzulegen. Schließlich fing es an leicht zu nieseln.

 

Kurz vor dem höchsten Punkt der Tagesetappe habe ich in etwa 500 m Entfernung Bewegung auf einem Schneefeld gesehen. Zunächst dachte ich, dass es sich um eine entgegenkommende Wandergruppe handeln würde. Aber irgendwie bewegten sich die Punkte nicht so, wie es Wanderer zu tun pflegen. Durch den Zoom der Kamera erkannte ich dann, dass es sich um eine kleine Gruppe von Rentieren handelte. Mein Weg führte genau über dieses Schneefeld. Als sie mich beim Näherkommen entdeckten, machten sie sich schleunigst über den nächsten Bergrücken aus dem Staub. Schade.

 

Bei dem ungemütlichen Nieselwetter war ich froh endlich die Schutzhütte Corraskoia zu erreichen. Die Hütte war im tadellosen Zustand, etwa 2,5 mal 2,5m groß mit 1,60m Firsthöhe. Aufrecht stehen ging in der Hütte also nicht. Dafür gab es einen Ofen, reichlich Feuerholz, einen Tisch und an den Seitenwänden waren breite Bänke montiert, auf denen man prima seine Isomatte ausrollen konnte. Feuer habe ich im Ofen nicht gemacht, denn es war ausreichend warm. Nach dem heutigen Anstieg und der langen Wegstrecke legte ich mich nach dem Abendessen, das überraschenderweise aus Nudel mit Soße bestand, früh schlafen.

 

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Tag 07: Virvasshytta

Der Tag heute versprach weniger anstrengend zu werden als gestern. Lediglich ca. 7 km Wegstrecke mit 200 Höhenmetern hoch und rund 400 Höhenmetern runter.

 

Nach dem ich die Augen am Morgen geöffnet hatte und meine ersten dringenden Geschäfte abgeschlossen hatte, legte ich mich wieder hin. Denn draußen waren kaum 20m Sicht, mit einem unangenehmen kalten Wind und andauerndem Nieselregen, hier auf 940 Höhenmetern. Da die geplante Tagesstrecke es zuließ, nahm ich mir eine weitere Mütze voll Schlaf, bis die Sicht irgendwann auf ca. 250m angestiegen war und ich die Wegmarkierungen problemlos finden konnte. Leider war der Wind eingeschlafen und die Mücken kamen wieder zu ihren Erfolgen. Zum Glück lösen sich bei mir die Mückenstiche innerhalb einer Stunde in Wohlgefallen auf, so dass die wenigen erfolgreichen Mücken keinen dauerhaften Schaden anrichten können. Aufgrund des weiter andauernden Nieselregens zog ich Regenhose und Jacke an, was die Angriffsfläche für die Mücken deutlich reduzierte.

 

Wie gehofft, kam ich nach ca. 3 Stunden in der Virvasshytta an. Diese Hütte hatte ich bei einem kurzen Besuch vor einigen Jahren schon von außen gesehen, als ich am vorletzten Tag der damaligen Tour fast rechtwinklig zum aktuellen Weg aus Richtung Schweden kam. Die Hütte war von außen verschlossen, aber ich hatte den Universalschlüssel, der für (fast) alle norwegischen Hütten des DNT passt. Interessanterweise war das die erste Hütte die ich besuchte, bei der sogar das Plumpsklo mit einem solchen Schloss gesichert war. Die Hütte bietet eine gut ausgestattete Küchenzeile mit Gaskocher, einen Wohnbereich mit Sitzgruppe und insgesamt 16 Betten in verschiedenen Räumen.

 

Ich hatte die freie Auswahl und bezog einen Raum mit zwei Betten im Erdgeschoss direkt neben der Sitzgruppe. Nach dem Aufhängen der Regensachen zum Trocknen holte ich frisches Trinkwasser aus dem See und bereitete mich auf einen gemütlichen Abend vor. Das Gästebuch ergab, dass lediglich an den Wochenenden mit zahlreichen Gästen zu rechnen ist, die etwa 5km (oder zwei Stunden) entfernt ihr Auto parken und dann die Hütte als Wochenenddomizil nutzen. Es war Dienstag, ich rechnete also nicht mit vielen weiteren Gästen, höchstens noch mit einzelnen Wanderern.

 

Es fing an richtig zu Regnen. Der Regen prasselte auf das Blechdach der Hütte und bildete eine angenehme Geräuschkulisse für ein Nachmittagsnickerchen. Irgendwann fing es an zu poltern. Das konnte nicht der Regen sein und der Wind hatte auch nicht zugenommen. Das Poltern wurde nicht wirklich weniger, ich wollte mich eben aus dem Sessel bequemen und die Ursache des Polterns ergründen und das Geräusch abstellen, als die Haustür aufging. Ein neugierig schauender Mann kam herein, allerdings ohne Gepäck und ohne Regensachen, dafür aber mit Hausschuhen an den Füßen,  bestens gelaunt und kommunikationsbedürftig, wie sich herausstellte. Der erste Mensch nach rund zwei Tagen.

 

Er sprach fast kein Englisch, wir haben und trotzdem prächtig für mehr als eine Stunde unterhalten. Wir verstanden uns prächtig. Die Kommunikation erfolgte mit gezeichneten Luftskizzen, Lautäußerungen und Händen und Füßen. Er fand es prima, das es Leute gibt, die nur wegen einer Fjelltour extra aus Deutschland anreisen. Sein Name ist Leif Olsen, Jahrgang 1940, seit 50 Jahren hier im Fjell als Jäger und Fischer unterwegs. Er kennt die Familiengeschichte jedes Steins im Fjell. Dieser erste Kontakt mit Ihm endete damit, dass er mit drei Fische aufdrängte, die ich zum Abendessen kochen sollte. Er hatte noch weitere gefangen, von denen er die größeren trocknen und räuchern wollte, zwei wollte er sich am Abend in die Pfanne hauen und ich sollte die drei Restlichen bekommen. Mir gelang es, ihm klarzumachen, dass ich keine Gewürze zum Kochen der Fische dabei habe. Schließlich verließ ich seinen Privatraum in der Hütte mit einem Topf, in dem sich eine große Portion Salz, eine handvoll Pfefferkörner und einige Loorbeerblätter befanden. Die Fische hatte ich extra auf einem Teller. Im Kopf hatte ich seine belustigende und gestenreiche Erklärung zur Zubereitung der Fische.

 

Ich stellte alles neben dem Herd bereit und beschloss die Fische am Abend zuzubereiten. Noch erschien es mir zu früh dazu. Ich hatte nur Nudeln und ggf. Soße als mögliche Beilage, konnte mich mit dieser Kombination jedoch nicht so recht anfreunden. Also traf ich die Entscheidung Fisch pur ohne Beilage zu essen. Leif erschien wieder in der Tür der öffentlichen Hütte, mit einer Tüte Kartoffelpüree in der Hand. Konnte er meine Gedanken lesen? Es erfolgte die Neuauflage seiner Choreographie, diesmal zur Zubereitung des Pürees. Letztendlich nicht anders, als das Püree, das es in Deutschland gibt. Also kein Problem. Leif brach unvermittelt ab und ging. Aber nur, um umgehend mit einer Flasche Dressing zurückzukommen. Nun war das Abendessen perfekt. Nach meine gestenreichen Bedankungszeremonie mit einigen gegenseitigen Fotos verabschiedete sich Lief für den Abend.

 

Ich lehnte mich entspannt im Sessel zurück und freute ich mich auf das Festmal. Kaum dass ich die Ereignisse verarbeitet hatte, kam Leif noch einmal zurück. Mit einer Dose Bier in der Hand. Etwas neidisch schaute ich die Dose an. Die Choreographie ging mit geändertem Inhalt wieder los. Er hätte noch insgesamt zwei Dosen Bier, müsse aber morgen wieder mit dem Auto nach Hause fahren um den gefangenen Fisch zu räuchern. Da er morgen Autofahren muss, dürfe er nur eine Dose trinken, und wollte mir die Zweite überlassen. Ich bar baff....

 

Wir kamen wieder ans Erzählen. Die privaten Dinge zur Familiengeschichte lasse ich hier weg. Wir erzählten über rote und blaue Beeren und schwarze und braune Bären. Ihm fiel das englische Wort für Braunbär nicht ein, seine Umschreibung war „not a grizzly, but brown“. Schließlich verstand ich, dass vor wenigen Tagen ein Braunbär nur 3km Kilometer von der Hütte entfernt von einer vierköpfigen Familie gesehen und fotografiert wurde, wir der Bär nur 100m vor der Familie deren Weg kreuzte. Er ließ sich durch die Familie nicht beunruhigen und ging gemütlich seines Weges. Außerdem hätte letzte Woche ein Bär ein Schiff („ship“) auf einer Weide überfallen. Ich schaute etwas überrascht, bis er die Pose eines Vierbeiners machte und täuschend echt wie ein Schaf määhte. Er meinte nicht „ship“ sondern „sheep“. Beiderseitige Erheiterung, dann Schiffe stehen selten auf einer Weide und werden auch selten von Bären überfallen. Jäger hätten versucht an dem einem Ende der Weide, bei dem gerissenen Schaf, der Bären zu stellen. Währenddessen genehmigte sich er Bär unbeobachtet am anderen Ende der Weide ein weiteres Schaf. Die Jäger haben den Bären nicht zu sehen bekommen. Leif vermutet, dass der Bär auf Brautschau und lediglich auf Durchreise ist. Die Braunbären in den Bergen machen sich normalerweise unsichtbar und greifen auch keine Schafe an.

 

Die Geschichte von diesem Bären führte zu einer Änderung meiner weiteren Pläne. Ich wollte nicht im Zelt als Bärenfrühstück enden. Daher beschloss ich meine weitere Route so planen, dass ich in Schutzhütten übernachten könnte, auch wenn die Tagesetappen dann etwas ungleichmäßig werden würden. Er gab mir noch den Tipp, dass die nächste Schutzhütte Vardfjellkota in einem schlechten Zustand sei, und ich besser die übernächste Hütte Kvepsendalskoia ansteuern sollte. Der Weg wäre nicht sonderlich anspruchsvoll, sondern nach den ersten 150 Höhenmetern relativ eben und bequem. Die 16km bis zur übernächsten Schutzhütte sollten kein Problem darstellen.

 

Leif erzählte mir auf Nachfrage, dass die von Ihm gefangenen Fische eine Art Süßwasserlachs wären, der nur sehr kühlen klaren Seen im Norden vorkommt und dort das ganze Jahr bleibt. Der Fisch war ausgesprochen schmackhaft, festes, leicht rötliches Fleisch, das sich problemlos von den Gräten löste. Der Fisch war so reichlich, dass ich beim besten Willen nicht alles zum Abend essen konnte. Es blieb eine gehörige Portion zum Frühstück über.

 

 

 

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Tag 8: Kvepsendalskoia

Ich nahm also den Tipp von Leif an und wollte Kvepsendalskoia an diesem Tag erreichen. Mein ursprünglicher Plan sah vor, nach etwa 2/3 der Strecke einen Zeltplatz zu suchen und am kommenden Tag dann den Restlichen Weg bis zur Hütte Kvitsteindalstunet zurückzulegen. Bis zur Kvepsendalskoia sind es etwa 16km, beruhend auf der Aussage von Leif nach dem ersten Anstieg mehr oder weniger ebene Strecke.


Ebene Strecke bedeutet, vor 650m auf etwa 800m hoch (erster Anstieg), dann wieder auf 610m runter und wieder auf 810m hoch, bevor es zur Hütte auf 750m runter geht. Das Ganze verteilt auf etwa 16km Strecke.


Also ging ich (für meine Verhältnisse) relativ früh gegen 10:30 Uhr an der Virvasshytta los. Natürlich nicht ohne vorher noch den restlichen Fisch zu verdrücken und mich herzlich von Leif zu verabschieden. Ich musste mich etwas überwinden, Fisch zum Frühstück zu essen.


Nach dem ersten Anstieg, nach etwa 4km Wegstrecke, kam mir doch tatsächlich jemand entgegen. Wir haben uns unterhalten. Der Norweger hatte an einem den Seen im Gebirge geangelt (an welchem genau wollte er nicht verraten) und war mit reichlich frischen Fisch im Rucksack auf dem Weg zum Auto um den Fisch dann zu hause zu räuchern. Sein neues Zelt mit lediglich 1,5kg Gewicht fand er zwar angenehm leicht, aber doch arg klein. Ich hatte letztes Jahr das gleiche Modell dabei, und fand es auch deutlich zu klein. Das Gepäck passt zwar mit etwas Mühe unter das Überzelt und die Liegelänge ist ok, man kann aber nicht aufrecht im Zelt sitzen und schon gar nicht im Zelt kochen. Wir tauschten unsere Zelterfahrungen aus und ich nannte ihm die Eigenschaften und die Bezeichnung meines diesjährigen Modells, in dem man aufrecht sitzen konnte und genügend Platz zum Kochen im Innenzelt hatte. Allerdings wiegt das Zelt auch etwa 1kg mehr.


Jetzt kam es zu einer Rushhour im Fjell. Es tauchte noch einer auf, auf dem gleichen Weg und in der gleichen Richtung wie ich, nur deutlich schneller. Wir waren also zu Dritt. Nur hatte der Dritte keine Zeit, er war so in Eile, dass wir uns kaum unterhalten konnten. Er war schon zwei Monate unterwegs, vom nördlichsten Festlandspunkt in Norwegen zum südlichsten Punkt und hatte noch drei Monate Zeit seine Norwegendurchquerung zu vollenden. Es ist eine Art Volkssport in Norwegen, diese Strecke im Sommer oder alternativ im Winter zurückzulegen. Er kam von Corraskoia und wollte heute noch nach Kvitsteindalstunet, eine Strecke von rund 30km. Kein Wunder, dass er in hektik war und keine Lust bzw. keine Zeit hatte sich zu unterhalten.


Damit war die Rushhour im Fjell vorbei. Den restlichen Tag habe ich niemanden mehr getroffen.


Wie von Leif berichtet, war die erste Schutzhütte nicht wirklich toll. Sie war im Stil einer samischen Kothe gebaut, aber zum Stilbruch mit Dachpappe überzogen und nicht mit Birkenrinde und Grasssoden gedeckt. Aber immerhin war sie mehr oder weniger mückendicht und bot eine kleine offene Feuerstelle in der Mitte und Platz auf dem Fußboden um im Notfall mit drei Personen in der Kothe übernachten zu können. Aufgrund der Mückenplage an dieser Stelle habe ich darauf verzichtet den Fotoapparat aus dem Rucksack zu holen. Da es erst früher Nachmittag war, ging ich weiter.


Also nahm ich den nächsten Anstieg in Angriff, nachdem ich den Fluss in der Talsohle durchwaten konnte, ohne die Wanderstiefel ausziehen zu müssen. Die Wassertiefe betrug nicht mehr als 15cm, was so eben unterhalb meiner Stiefeloberkante war. Der nächste Bach war so freundlich für eine kurze Strecke unter einem Felsen zu verschwinden und so eine natürliche Brücke zu bilden. Dass die eigentliche Brücke über diesen Fluss im Winter vom Eisgang zerstört wurde, so wie mir Leif berichtete, war daher kein Problem für mich. Die Reste der Brücke in Form verbogenen Stahlträgern und einiger Holzplanken waren noch sichtbar.


Der Anstieg auf den nächsten Pass war länger und mühevoller als erwartet. Er zog sich bis Sonnenuntergang hin. Die Hoffnung, von dort oben die Hütte sehen zu können, trieb mich hoch. Gäbe es nicht diesen doofen Bären, hätte ich hier oben auf dem Pass am See mein Zelt aufgebaut und hätte die Aussicht genossen. Das Wetter war weiterhin sehr angenehm. Die Mückendichte hat deutlich nachgelassen, es wehte ein leichter Wind, bei locker bewölktem Himmel mit angenehmen Temperaturen.


Schließlich kam ich völlig platt nach fast 9 Stunden Wanderung bei der Kvepsendalskoia an. Die Schutzhütte habe ich erst 50m bevor ich über sie gestolpert wäre, gesehen. Sie war durch einen Felsabhang verdeckt. Es dämmerte schon, also habe ich mich überwunden gleich Trinkwasser aus dem nahen Bach zu holen und erst dann in die Hütte einzuziehen.


Der Hütte und Ofen waren noch angenehm warm, also hatte der Norwegendurchwanderer hier Pause gemacht und die Hütte geheizt. Ich beschloss, es dem Norweger gleich zu tun und für eine mollige Wärme in der Schutzhütte zu sorgen, indem ich den Ofen wieder anheizte. Aufgrund des aufkommenden Muskelkaters beschloss ich, an der nächsten richtigen Hütte in etwa 7km Entfernung im nächsten Tal einen Pausentag einzulegen, mich zu regenerieren und mich dann auch mal wieder intensiv um meine Körperhygiene zu kümmern.

 

Die Hütte Kvepsendalskoia ähnelt Corraskoia, nur dass die Firsthöhe der Hütte ausreichend ist, um aufrecht zu stehen. Das Dach der Hütte wurde vor kurzem neu mit Dachpappe gedeckt, die Hütte war zwar alt, aber im tadellosen Zustand.


Bleibt noch anzumerken, dass meine Verdauung den Fisch zum Frühstück nicht wirklich leicht genommen hat. Bis zum Abendessen kam bei jedem Aufstoßen ein intensiver Fischgeschmack mit hoch. Unglaublich, wie oft man am Tag aufstößt...



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Tag 9: Kvitsteindalstunet

Der Wasserfall nahe der Schutzhütte letzte Nacht hatte den Vorteil, dass man die Mücken in der Hütte nicht gehört hat, die es irgendwie geschafft hatten in die Hütte einzudringen. Aber an der einen oder anderen Stelle juckte es schon ein wenig.

Nach einem späten Müslifrühstück und dem üblichen Neupacken des Rucksackes mach ich mich auf, die heutigen 7km Wegstrecke anzugehen. Die Karte meinte, dass es überwiegend bergab gehen würde, lediglich ein 100m Anstieg sollte mir auf der Strecke bevor stehen. Wieder hatten alle Flüsse und Moore auf dem Weg einen angenehm niedrigen Wasserstand, so dass das Vorankommen recht einfach war. Weiterhin war nicht von einem Weg zu erkennen, aber die Markierungen waren optimal. Nach rund drei Stunden kam ich relativ entspannt in Kvitsteindalstunet an.


Eine erste Besichtigung bestätigte meine Idee, einen Pausentag einzulegen. Kvitsteindalstunet besteht aus zwei Hütten, die eine mit 4 und die andere mit 6 Schlafplätzen. Beide waren mit den DNT-Standardschloß verriegelt, also kein Problem. Daneben gab es noch ein doppelsitziges Klohäuschen und eine kleine Privathütte für den Hüttenchef mit angehängtem Schutzdach für das Feuerholz. Ich zog in das kleinere, ältere und gemütlichere Haus ein (links im Bild).


Noch vor dem Wasserholen testete ich das Fassungsvermögen des Herzhäuschens. Wie es sich herausstellt, war das Restvolumen reichlich bemessen, so dass ich mich auf der ausgesprochen komfortablen und angenehm warmen Brille aus Styropor niederließ. Fliegen und Mücken hielten sich in erträglichen Grenzen, ich konnte meine geschäftliche Tätigkeit in Ruhe vollenden. Im Alltagsleben kann man sich kaum vorstellen, wie entspannend eine solche Sitzgelegenheit nach zwei Tagen Abstinenz sein kann.


Auch diese Hütte war von dem Norwegendurchwanderer noch warm. Nach dem üblichen Wasserholen und dem Anheizen des Ofens nahm ich mir das Gästebuch vor. Ich war der 25. Gast in diesen Sommer. Meine 24 Vorgänger kamen in 9 Gruppen. Die Wahrscheinlichkeit auf jemanden anderen zu treffen war also recht gering. Vermutlich ist die Nordlandsrouta zu unbekannt und vielleicht Aufgrund der Notwendigkeit die Lebensmittelvorräte komplett im Rucksack mitzuführen, vielen zu unbequem.


Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das mit dem Ofen Anheizen zu leicht genommen habe. Ich brauchte drei Versuche, bis es endlich gelang. Ich hatte viel Zeit, und bereitete mich, mit einem Pausentag vor Augen, auf die kommende Körperhygieneprozedur vor. Einen der beiden 12l Edelstahlwassereimer stelle ich auf den Ofen. Ich wollte am Abend eine intensive Ganzkörperwäsche zelebrieren.


Die Vorbereitungen waren soweit abgeschlossen, ein Kakao getrunken, so das ich ein ausgedehntes Nachmittagsschläfchen halten konnte. Lediglich zum Nachfüllen des Kakaobechers und Nachlegen von Feuerholz bequemte ich mich vom Sofa. Zum Abendessen gönnte ich zusammen mit 1l Tomaten-Mozzarella Tütensoße noch 250g Spagetti. Das reichte dann auch noch zum Frühstück, dann zuvor hatte ich bereits eine Tüte „Großmutters Geheimnis“ (Tütenlinsensuppe) verdrückt. Die Hütte war mit zwei Fliegengittern ausgestattet, die man in die Fensteröffnungen klemmen konnte. Für ordentlich Durchlüftung war also gesorgt.


In der späten Dämmerung war das Wasser heiß genug. Also habe ich mir den Wassereimer, eine Waschschüssel und grüne Seife geschnappt und vor der Hütte ein „Vollbad im Stehen“ genossen und sämtliche Körpergerüche durch den Geruch von grüner Seife ersetzt. Eines meiner beiden mitgenommenen Stofftaschentücher diente mir als Waschlappen. Anschließend gönnte ich mir den Luxus eines kompletten neuen Satzes Wäsche aus dem Rucksack. Man fühlt sich nach solch einer Prozedur wie neu geboren.

 

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Tag 10: Pausentag in Kvitsteindalstunet

Pausentag. Also alles ganz gemütlich angehen lassen. Irgendwann wurde das körperliche Verlangen nach dem ♥-Häuschen dann doch zu groß, dass ich dem nachgeben musste und aufgestanden bin. Ausgezeichnetes Wetter, fast Windstille, die Mücken hielten sich in Grenzen, lockere Wolken und angenehme Temperaturen. Nach dem Gang nach draußen sollte es Frühstück geben. Es blieb dann beim Kaffee, denn irgendwie hatte ich keine Lust auf Nudeln in Tomaten-Mozzarella Soße.

Ich hatte mir vorgenommen den Pausentag zu nutzen, um mit diesem Tagebuch anzufangen. Meine Suche nach Schreibpapier in beiden Hütten war wenig erfolgreich. Außer Küchen- und Klopapier war nicht zu finden. Außerdem habe ich, mit Ausnahme von drei Teebeuteln, nichts genießbares gefunden. Schade, ich konnte meine Vorräte also nicht aufstocken. Also blieb mir nichts weiter übrig, als die vom der Touristeninformation in Mo I Rana ausgedruckten und nutzlosen Busfahrpläne zu verwenden und darauf meine Eindrücke festzuhalten. Immerhin gab es ausreichend Kugelschreiber in der Hütte.


Beim Schreiben von Tag 5 habe ich dann doch noch die Nudeln von gestern Abend aufgewärmt und gegessen. Mitten in Tag 8 fand ich es angebracht, meine gebrauchte Wäsche zu waschen, denn das neu angezogene T-Shirt begann schon zu muffeln. An mir lag es nicht, ich war frisch gewaschen, was eine Geruchsprobe bestätigte. Das schnelltrocknende und atmungsaktive Kunstfaser T-Shirt war offenbar derart geruchsfördernd, dass es schon nach 6 Stunden Tragezeit muffelte. Ich nahm mir vor, das T-Shirt am Abend feierlich im Ofen zu bestatten. Dann würde es ein letztes Mal im Namen Lokis stinken.



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Tag 11: Sauvasshytta

Heute ist die Tagesetappe mit dem größten Anstieg. Auf den ersten 3km geht es rund 300m hoch, und dann wieder runter bis auf die Anfangshöhe von 600m. Die folgenden 10km steigen langsam bis auf 850m an, gefolgt von einem 250m Anstieg innerhalb eines Kilometers. Anschließend wieder 100 Höhenmeter und 1km Strecke runter zur Sauvasshytta. Also zusammen rund 850 Höhenmeter, verteilt auf 15 km Wegstrecke. Wegbeschreibungen gehen von 6 Stunden Zeitbedarf aus, ich denke, ich werde 9-10 Stunden benötigen.

Also früh raus aus dem Schlafsack und zügig die Formalitäten (Waschen, Frühstücken, Packen, Aufräumen und Saubermachen) erledigen. Dabei nicht vergessen, dass ich beschlossen hatte, das heute Nachmittag ein Notfall eintreten wird. Für Notfälle habe ich zwei 200g-Schaokoladentafeln dabei. Und ein solcher definierter Notfall erlaubt es mir, eine halbe Tafel zu „entsorgen“. Um 9:30 nach einem letzten Besuch im ♥-Häuschen brach ich auf. Ich kann hier nur noch einmal den unglaublichen Komfort einer Styropor Klobrille hervorheben!


Die Mückendichte hatte erheblich abgenommen, was das Vorankommen und vor allem die Pausen deutlich angenehmer machte. Die erste Etappe mit dem 300m Auf- und Abstieg bereitete keine Überraschungen. Die Bäche waren einfach zu überqueren und der Pfad weiter ausgezeichnet markiert. Nach etwa zwei Stunden war ich wieder auf der Anfangshöhe, auch weil es hin und wieder tatsächlich so etwas ähnliches wie einen kleinen Trampelpfad gab. Das Wetter war weiterhin prima, aber die Wolkenstrukturen änderten sich und die Wolken hatten es immer eiliger. Die Wolken kamen aus verschiedenen Richtungen in verschiedenen Ebenen. Also habe ich die Regensachen aus dem Rucksack gesucht und griffbereit wieder verstaut.


Der zweite langsamere aber andauernde Anstieg zog sich in die Länge und wollte kein Ende nehmen. Es ging langsam aber sicher schräg am Berg entlang nach oben, mehrfach unterbrochen von tiefen Einschnitten mit Bach. Also immer wieder 20m runter, irgendwie über den Bach und dann wieder 20m den Geröllhang hinauf.


Langsam wurden die Wolken dunkler und der Wind entschied sich endgültig dazu, aus Osten zu kommen. Die Entscheidung traf er sehr deutlich und nachhaltig. Einige km hinter mir zog ein Regenschauer um den Berg und durch das Tal, der Schauer blieb glücklicherweise deutlich hinter mir zurück. Gegen 17 Uhr machte das Wetter ernst und zog alle Register. Thor warf mehrmals seinen Hammer Mjölnir und bot mir den ersten Gewittersturm mit Hagel, den ich in Norwegens Bergen erleben durfte. Die Regensachen hatte ich schon vorher angezogen, also noch schnell den Poncho über den Rucksack, eine Mulde gesucht und hin gehockt. Ich wollte nicht Blitzableiter spielen. Immerhin hatte ich das Vergnügen, diese Pause zum spontanen Notfall erklären zu können.


Nach mitgezählten 5 Donnerschlägen war der Spuk nach wenigen Minuten vorbei, Thor offenbar erschöpft und ein unbeschreiblicher Regenbogen erstreckte sich unmittelbar vor mir. Ein voller Halbkreis mit allen Farben, das eine Ende gefühlte 30m neben mir. Der Regenbogen hatte eine Leuchtkraft, wie ich sie noch nicht erlebt hatte. Über dem ersten Bogen bildete sich ein deutlich schwächerer zweiter Bogen. Da es immer noch leicht regnete, habe ich leider kein Foto von den Doppelbogen machen können.


Doof war nur, dass jetzt alles nass war und der anstehende 250m Anstieg über den Pass in knapp 1100m Höhe dadurch umso spannender wurde. Die Felsen waren mir zu rutschig geworden, so dass ich einige Umwege gegangen bin und den markierten Weg, der fast geradlinig den Pass hinaufführte, verlassen habe. Die Sonne stand unmittelbar über dem Pass und schien mir direkt entgegen. Bei diesem grellen Gegenlicht hatte ich ohnehin keine Chance, die Wegmarkierungen zu finden. Kurz vor dem Gipfel folgte noch ein schräges, verharschtes Schneefeld, über das diagonal der Weg führte. Inzwischen war die Sonne untergegangen, so dass die Wegmarkierungen wieder erkennbar waren. Es wurde mit dem Sonnenuntergang schnell merklich kühler, so dass ich meine Handschuhe anlegte und die Kabutze der Regenjacke als Windschutz über die Ohren zog. Noch war ich nicht am Gipfel, es waren noch etwa 2km Wegstrecke zur Hütte und es dämmerte langsam. Gegen 19:30Uhr kam ich an der Sauvasshytta an. Auch diese Hütte war so gut hinter Felsen versteckt, dass ich sie erst 100m vor der Ankunft zu Gesicht bekam.


Nachdem ich dann (wie immer) erst einmal Wasser aus dem See und Feuerholz aus dem Lager geholt hatte konnte ich mich häuslich einrichten. Kaum war alles besorgt, legte ein Sturm mit Nebel und Regen los. Das kümmerte mich wenig, ich war in der inzwischen warmen Hütte, das Außenthermometer zeigte +2°C an. Ich beschloss, sollte das Wetter morgen nicht deutlich besser sein, einen ungeplanten Pausentag einzulegen.

 


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Tag 12: Pausentag Nr. 2

Am Morgen war das Wetter war immer noch ausgesprochen ungemütlich, ich hatte keine Ambitionen die Hütte zu verlassen. Selbst zum Erledigen der dringendsten Geschäfte musste ich nicht nach draußen gehen, das gewisse Örtchen war an die geschlossene Veranda angebaut. Allerdings gab es keine Brille aus Styropor, sondern ein schlichtes in Holz gesägtes Loch. Funktioniert genauso gut, ist jedoch deutlich unbequemer.

Den ganze Zeit auf der Hütte habe ich keinen anderen Menschen getroffen. Zu Lesen gab es nichts in einer Sprache, die ich verstand. Also beschränkte ich mich auf das Bilderansehen in den norwegischen Büchern über das Fjell. Zum Zeitvertreib gab es wenigstens ein Radio. Draußen fiel die Temperatur bis zum Abend von 2°C auf -1°C. Hier, kurz vor dem Polarkreis kann das Wetter auf rund 1000m auch im Sommer winterlich werden.Ich nutzte die Zeit für ein Update meines Tagebuches.


Ich analysierte außerdem gründlich die Wegstrecke für den kommenden Tag und plante morgen so ziemlich alles anzuziehen, was ich dabei hatte, sollte das Wetter nicht besser werden. Es ging morgen (nur) etwa 12km bergab, als Zeitbedarf gaben die Norweger 3-4 Stunden an. Zwei größere Bäche waren zu durchqueren und ein Anstieg mit rund 100m war nach 2/3 der Etappe zu überwinden. Am Ende des kommenden Tages würde die Zivilisation auf mich warten.


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Tag 13: Umbukta fjellstue

Irgendwann mit dem Hellwerden bin ich früh morgens auf der Sauvasshytta wach geworden. Sturm, Regen, Nebel. Wieder hingelegt und weitergeschlafen.

Schließlich entscheiden sich das Wetter zusammen mit mir aufzuklaren. Die Außentemperatur stieg wieder auf mollige +-0°C, die Unterkante der Wolken lag 50m über der Hütte und es waren immer mehr Konturen in den Wolken zu erkennen. Nach den inzwischen normalen Morgenprozeduren kam ich gegen 10:30 Uhr los. Ich hatte am Tag zuvor geschätzt, dass ich etwa 5 Stunden benötigen würde. Nach 1 ½ Kilometern stand die erste Flussdurchquerung nicht an. Jemand hatte eine Behelfsbrücke aus zwei Doppel-T-Trägern installiert und die Träger an Felsen festgezurrt. Danke dafür!


Entlang der ganzen Strecke gab es reichlich Rentiere in mehreren Herden, ich habe über 50 Tiere gezählt. Aus irgendeinem Grund hatte ich es eilig zum Ziel Umbukta zu kommen, wieso war mir unklar. Der Weg war ok, das Wetter wurde zusehends besser und es war noch nicht einmal Mittagszeit. Ich gab meinem inneren Drängen nach und legte einen Gang zu. Schließlich kam ich gegen 14:40 Uhr bei Umbukta an, hatte die Hüttenwirtin gefunden (geweckt?) und mein Quartier bezogen. Ich fragte die Wirtin, ob sie jemanden kennen würde, der heute noch nach Mo i Rana fährt und mich eventuell mitnehmen könne. Sie sah mir tief in die Augen und meinte, sie hätte zufälligerweise einen Zimmermann da, der ein Haus neu isoliert, der würde um 15 Uhr Feierabend machen und zurück nach Mo fahren. Den werde sie fragen. Er gab sein Ok, mich, so ungeduscht wie ich aus dem Fjell kam, mitzunehmen.


Sollte das der Grund für meine unbegründete Eile gewesen sein? Zumindest war es ein sehr angenehmer Zufall. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, morgen für einige Stunden an der Straße zu stehen um ein Auto zu finden, das mich mitnimmt.


Der Zimmermann war so freundlich mich direkt am Auto bei Bimbo abzusetzen. Auf dem Rückweg zu Umbuktu besorgte ich mir im Supermarkt Schweinefilet und Kartoffelsalat, sowie Brot, Butter O-Saft und Nektarinen. Am Abend würde es ein Festmal geben.


Die Eigentümer von Umbukta waren dabei ihren Hof neu zu pflastern und ignorierten mich weitestgehend. Bis zum Dunkelwerden hämmerte, schabte und klopfte es. Nur gut, dass die Versuche die Rüttelplatte zu starten, misslangen. So ist sie halt, die Zivilisation. Ich genoss intensiv die erste heiße Dusche und verstaute die gebrauchten Wanderklamotten in einer stabilen und luftdichten Plastiktüte. Es war ein Genuss, wieder normale frische Kleidung zur Verfügung zu haben.


Jetzt noch zum Zimmermann, der mich zum Auto zurückgebracht hat. Natürlich haben wir uns während der Fahrt unterhalten. Er unternimmt gerne Fjelltouren, seine längste führte ihn bisher über 25 Meilen (250km) für drei Wochen durch das Fjell. Er hat zwei deutsche Jagdhunde, er Jagd und Fischt im Fjell. Er hat auch eine Katze. Die Katze war vor den Hunden im Haus und ist Chef im Haus, die Hunde würden das akzeptieren. Außerdem ist er glücklich verheiratet und hat zwei Töchter Anfang 20, die beide in der norwegischen Damen Nationalmannschaft Fußball spielen würden und deshalb in Südnorwegen wohnen würden. Er fragte mich, ob ich frische Bärenspuren gesehen hatte und erzählte mir die gleichen Geschichten über den Bären wie Leif vor einigen Tagen in Virvass. Der Bär ist vor wenigen Tagen auch in der Umgebung von Umbukta gesehen worden. Das bestätigte mich darin, dass mein Beschluss auf das Zelt zu verzichten wohl doch richtig war.


Mein Fahrer fand es als Zimmermann natürlich klasse, dass ich in einem Holzhaus wohne und lediglich den wind- und wasserdichten Rohbau gekauft hatte und den Innenausbau mit der Familie dann selbst übernommen hatte. Nachdem ich ihm von dem Norwegendurchwanderer erzählt hatte, berichtete er, dass einer seiner sein Mitarbeiter die Strecke von Norden nach Süden in Norwegen als bisher schnellster überhaupt in 86 Tagen im Winter auf Skiern geschafft hatte.


Irgendwie gelingt es mir nicht, normale Menschen in Norwegen zu treffen. Oder ist in Norwegen alles so anders?


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Tag 14: Abschuss (für dieses Jahr)

Eigentlich wollte ich über die letzten Tage der Rückreise kein Tagebuch mehr schreiben, denn ab jetzt wollte ich normaler Tourist sein. Aber heute ist so viel spannendes passiert, dass ich diesen Tag doch noch dokumentiert habe.

Mein Plan war, noch einen relaxten Pausentag in der Region zu verbringen und dann weiter nach Norden zu den Lofoten zu fahren. Ich war schon einmal kurz dort, habe aber nur einen kleinen Teil der Inseln gesehen. Die Landschaft dort ist einfach unglaublich. Leider gibt es dort keinen richtigen Weitwanderweg der mehrere Tage durch die Berge führt, sonst hätte ich den bestimmt schon mal begangen.


Noch etwas unschlüssig, was ich heute anstellen sollte, plante ich erst einmal zu Bimbo zurück zu fahren. Dort gab es ein freies Wlan mit Internetanschluss, wie ich während meines Trampens festgestellt habe. Ich wollte das Wlan nutzen, die nächsten Tage vorzubereiten. Aber es kam etwas dazwischen.


Schon zu Hause hatte ich überlegt die Hütte Kjennsvasshytta für einen entspannten Tag zu nutzen. Die Hütte ist über eine unbefestigte Bergstraße mit dem Auto erreichbar und liegt an einem großen Stausee mitten in den Bergen, nahe eines Gletschers. Nur hatte mich das Schild „Bauarbeiten“ am Beginn des 40km langen Feldweges zu der Hütte beunruhigt. Der Weg zu der Hütte biegt von der Straße zwischen Umbukta und Mo ab, daher war mir das Schild schon aufgefallen.


Kurzentschlossen bog ich von der Hauptstraße in Richtung Kjennsvasshytta ab und erreichte nach 50 Minuten vorsichtiger Fahrt die Hütte ohne Probleme. Die Bauarbeiten begannen erst noch weiter hinten auf der Straße. Lediglich der große Trecker und der Radlader auf der Parkfläche vor der Hütte irritierten mich. Die Hütte lag, wie vermutet, auf einem kleinen grasbewachsenem Plato etwa 10m über dem See. Der Blick auf den See mit den schneebedeckten Bergen dahinter war beeindruckend. Hier würde ein Relax-Tag prima funktionieren. Die Hütte hatte außerdem Handyempfang, Stromanschuss, fließend Wasser und Elektroheizung. Außerdem gab es einen großen Kühlschrank und etwas abgesetzt eine noch warmes holzbetriebenes Saunahäuschen.


Ich war jedoch wenig begeistert von dem ganzen Trubel in der Hütte. Die Bauarbeiter hatten die Hütte als Hauptquartier und die Küche als Besprechungsraum in Beschlag genommen. Sieben aufgeregt diskutierende Männer saßen um den Küchentisch, auf dem Pläne eines Stollens ausgebreitet lagen. Sie nahmen mich kaum wahr. Es gab wohl irgendein ernsthaftes Problem mit dem Bau des Stollens, der Wasser von einem weiter oben aufgestautem See zum Kraftwerk leiten sollte.


Einer der Männer in der Hütte war anders. Anders gekleidet und er schaute deutlich entspannter aus seiner Wäsche als die anderen Herren. Wie sich herausstellte, war dieser Kerl seit zwei Monaten im Fjell unterwegs und hatte auf der Hütte übernachtet. Er ist Baujahr 1946, wie sich in der Unterhaltung mit Ihr herausstellte. Nur 200m vor der Hütte hatte er sich den Fuß umgeknickt, als er sich mehr auf die Hütte freute, als auf den Weg zu achten. Er konnte mit einem Fuß nicht mehr auftreten, was das Ende seiner Fjelltour bedeutete. Einer der Bauarbeiter wollte ihn am Ende des Tages mit nach Mo nehmen, damit er nach Hause fahren konnte. Da ich nicht auf dieser unruhigen Hütte bleiben wollte, bot ich ihm an, ihn nach Mo zu bringen. Das Angebot nahm er dankend an, da er so Zeit gewinnen würde.


Die Fahr nach Mo i Rana dauerte 90 spannende Minuten. Erst hinterher ist mir aufgefallen, dass ich ihn die ganze Zeit noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt habe.


Wir waren schon auf vielen gleichen Fjells und Hütten in Norwegen und Schweden und tauschten intensiv Erfahrungen aus. Irgendwie waren wir auf einer Wellenlänge. Als die Sprache auf die Hardanger Vidda und auf den Bahnhof Finse kam und den Gletscher Hardangerjøkulen zu sprechen kam, legte er so richtig los. Er hatte das Hotel am Bahnhof Finse vor vielen Jahren gekauft, als es praktisch Pleite war und wieder aus Vordermann gebracht. Später errichtete er das zweite Gebäude dazu und verband beide Gebäude im ersten Stock über eine Brücke aus einem alten Eisenbahnwagon. Den Wagon hat er fahruntüchtig für umgerechnet 200€ gekauft. Der Wagon war als Sanitätswagon im Krieg auf der Strecke Bergen / Oslo unterwegs und mit extra Stahlplatten gegen Beschuss gesichert worden. Der Wagon musste per Tieflader über die Bahnstrecke, denn eine Straßenanbindung gibt es nicht, zusammen mit zwei Autokränen nach Finse gebracht werden. Die Autokräne hoben den Wagen dann in Position.


Im Hotel Finse hatte er mehrfach über viele Jahre einen älteren Herren zu Besuch. Als die beiden irgendwann ins Gespräch kamen, stellte sich heraus, dass der ältere Herr der deutsche Kriegskommandant von Finse war. Die beiden hatten sich noch mehrfach getroffen und wurden Freunde. Er erhielt von dem Ex-Kommandanten originale Skizzen und Unterlagen aus der Zeit des Krieges über die Pläne der Nazis mit Finse. Die Deutschen wollten auf dem Gletscher eine Landepiste für Flugzeuge bauen, da sie eine möglichst hoch gelegene Piste brauchten um über Grönland die USA mit Flugzeugen angreifen zu können. Alle Bemühungen das Eis mit Sägespäne zu stabilisieren sind damals gescheitert. Er hat ein norwegisches Buch über die Geschichte der Bergenbahn geschrieben und in einem Kapitel dieses Thema behandelt. Interessanterweise findet man kaum details im Internet über diese Angelegenheit.


Als er das Hotel in Finse wieder am Laufen hatte, hat er es zu einem guten Preis verkauft und sich an einer Landstraße ein großes altes Bauernhaus aus den Anfängen des 19. Jahrhundert gekauft und darin ein Hotel im historischem Stil eingerichtet. Er hat mir die Stelle auf der Karte gezeigt, ich habe aber leider vergessen, wo das war.


Auch dieses Hotel hat er dann vor einigen Jahren wieder verkauft und sich in Schweden nahe Umeå einen alten Bauernhof mit Nebengebäuden, ein neues Auto und ein gebrauchtes wintertaugliches Wohnmobil (zu einem Guten Preis in Deutschland) gekauft. Die meisten Gebäude auf dem Gehöft hat er inzwischen renoviert und sich quasi zur Ruhe gesetzt. Er genießt jetzt das Leben und macht ausgedehnte Fjelltouren solange seine Gesundheit das erlaubt.

 

Übrigens war er, so wie ich, zum Wehrdienst bei der Marine. Er hatte jedoch das Glück eine Bordverwendung zu bekommen, während ich auf einem Landstützpunkt festsaß. Er fuhr mit seinem Schnellbootgeschwader die norwegische Küste rauf und runter. Bei der offenen Brücke der mit 6 Mann besetzten Boote war das im Winter nicht immer ein Vergnügen.


Wir waren uns einige, dass die heutige Zeit, gegenüber den Jahren 1940 – 45 doch gewisse Vorteile bietet und Freundschaft zwischen den Völkern dem Krieg vorzuziehen ist.


Hatte ich schon erwähnt, dass ich hier oben nur außergewöhnliche Menschen treffe?


Ich liebe Norwegen!



DC2HC


 

PS:

Ich habe im Anschluss über das Wlan bei Bimbo Recherchen angestellt und mir einen Plan für die Lofoten ausgearbeitet. Die kommende Nacht habe ich in Bolnastua verbracht, bin dann aber am nächsten Tag zur Rückreise angebrochen, da mehrere Wolkenfronten über das Nordmeer auf dem Weg nach Norwegen waren und die Sicht auf die Berge auf den Lofoten miserabel gewesen wäre.